Eintreten für Demokratie:
„Demokratie ist nicht selbstverständlich“ steht auf drei Holzstelen, die seit letztem Herbst im Sitzungssaal des Spaichinger Rathauses hängen. Die Worte erinnern die gewählten Frauen und Männer des Gemeinderats an die Verantwortung, die sie bei ihren Beratungen und Beschlüssen tragen. Und die Worte erinnern an eine Zeit, in der in Spaichingen und ganz Deutschland keine Demokratie, sondern eine menschenverachtende Diktatur herrschte. Denn das Holz, auf dem die Worte stehen, stammt von einer Baracke des Konzentrationslagers Spaichingen.
Von September 1944 bis April 1945 gab es das Spaichinger KZ als eine Außenstelle des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im Elsass. Die Unterkunftsbaracken standen im Bereich des heutigen Busbahnhofes und Marktplatzes. Gearbeitet haben die 300 bis 400, vorwiegend politischen Häftlinge im Stadtteil Lehmgrube, wo sie unter grausamen Bedingungen für die geplanten Metallwerke Spaichingen“ eine Fabrikhalle errichten sollten. In den Monaten, in der das Lager bestand, verloren rund 160 Männer ihr Leben.
Dass dieses Kapitel der Spaichinger Stadtgeschichte nicht vergessen wird, ist zum großen Teil ein Verdienst von Lehrenden und Lernenden des Gymnasiums Spaichingen. Die Stelen im Rathaus sind der letzte Schritt in einem vierteiligen Prozess, der das Ziel hat, die Erinnerung an das Konzentrationslager wach zu halten.
Angestoßen hat das Erinnerungsprojekt der Geschichts- und Religionslehrer Wolfgang Schmid, als er seinen Kollegen und Künstler Frank Mrowka fragte, ob dieser sich vorstellen könne, mit Schülerinnen und Schülern ein Kunstprojekt aus dem alten Barackenholz zu entwickeln.
Als Frank Mrowka und Wolfgang Schmid zusammen mit dem Bildhauer Frieder Preis näher über ein Konzept für das Erinnerungsprojekt nachdachten, entschieden sie, dass zunächst der Ort des Konzentrationslagers sichtbar gemacht werden sollte. Der erste Schritt waren deshalb drei große Bronzeplatten, die im Bereich des heutigen Busbahnhofs und Marktplatzes in den Boden eingelassen wurden und den ungefähren Standort der Unterkunftsbaracken markieren. Eine Bronzeplatte zitiert Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Unter der Bronzeplatte beim Brunnen am Martin-Luther-Haus befindet sich eine Kassette mit Kupferplatten, auf denen die Namen der verstorbenen KZ-Häftlinge eingraviert sind. Eine weitere Bronzeplatte befindet sich vor der Apotheke am Rathaus.
Der zweite Teil des Kunstprojekts macht den Weg sichtbar, den die Häftlinge zu ihrer erzwungenen Arbeit zurücklegen mussten. Zehn in den Boden eingelassene bronzene Wegzeichen markieren den täglichen Gang der Häftlinge. Sie tragen die Inschrift „Leidensweg 1944/45“, Symbole von Brot und Früchten sowie die Worte „Noch einmal und ihr geht mit“. Damit drohten SS–Männer den Spaichinger Bürgern, die es aus Mitleid wagten, den streng bewachten Häftlingen auf dem Weg zur Arbeit Brot, Früchte und Kartoffeln an den Straßenrand zu legen.
Dritter Teil des Projekts war eine Bronzetafel beim Martin-Luther-Haus, die mit einem Text über das Konzentrationslager und das Schicksal seiner Häftlinge informiert.
„Demokratie ist nicht selbstverständlich“ – mit dem vierten Teil des Gesamtprojekts, den Holzstelen im Sitzungssaal des Rathauses, schließt sich der Kreis. Durch den exponierten Platz im Spaichinger Rathaus komme dem letzten Kunstwerk eine besondere Bedeutung zu, betont Frank Mrowka. Die Stelen zeigten: „Wenn wir Demokratie wollen, müssen wir dafür eintreten, in Eigen- und Selbstverantwortung, jeder für sich, auch, indem man Position bezieht und eine klare Linie zeigt“, so Mrowka.
Emilie Krenz, Christina Hauser, Jasmin Eckstein, Vanessa Götschl, Anna Knorr, Florine Hauser, Belin Sirkinti und noch einige andere haben sich in diesen Projekten eingebracht und engagiert.